Die Wiedervereinigung. Was passierte im Zuge der Wiedervereinigung mit dem Geltungsbereich des Grundgesetz?
Seit 23.05.1949 war in Artikel 23 GG der Geltungsbereich des Grundgesetz definiert:
Artikel 23 GG
Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.
Damit war der Geltungsbereich des Grundgesetz bestimmt. Das Problem war nur, es wurde weder auf Bundesebene als geltende Norm eingeführt – analog etwa zum Einführungsgesetz der Zivilprozessordnung EGZPO – noch in den benannten Ländern als die Landesverfassungen dominierende Norm eingeführt.
Im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) wurde sodann Artikel 23 GG, der den Geltungsbereich des Grundgesetz definiert hat, ersatzlos aufgehoben.
Dafür wurde die Präambel des Grundgesetz neu gefasst:
“Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.”
Die Änderung wird im Bundesgesetzblatt II vom 18.09.1990, S. 890, verkündet. Nichts geändert hat sich aber in den Bundesländern:
In keinem Bundesland wurde gemäß dieser Präambel das Grundgesetz als die die jeweilige Landesverfassung dominierende Norm eingeführt.
Die Präambel
In Wikipedia ist Präambel wie folgt definiert:
Nur, was nützt eine “Darstellung von Motiven, Absichten und Zwecken durch ihre Urheber”, wenn diesen keine Umsetzung folgt, nämlich die formelle Einführung des Grundgesetzes in allen Bundesländern als oberste geltende Norm?
Aus der Präambel kann kein Bürger das Recht ableiten, dass das Grundgesetz in seinem Bundesland als geltende Norm eingeführt wird. Aus Artikel 23 GG wäre es möglich gewesen, die Nichteinführung des Grundgesetz in den Bundesländern wenigstens zu monieren.
Wenn das Grundgesetz in den Bundesländern keine gültige Norm ist, in welchem Gebiet ist das Grundgesetz dann eine gültige Norm?
Auf Bundesebene ist das Grundgesetz jedenfalls genausowenig eine geltende oberste Norm, wie sie es in den Bundesländern auch nicht ist. Dies belegt allein schon, dass die Bundesverfassungsrichter sich mit ihrer Rechtsprechung bezüglich Verfassungsbeschwerden nicht auf der Grundlage des Grundgesetz, sondern des grundgesetzwidrigen Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerfGG austoben.
Damit ist zu unterstellen, dass spätestens mit dem Einigungsvertrag die verbindlichen Gebietsgrenzen aufgehoben wurden, in denen das Grundgesetz gelten soll.
Ein Gesetz, dessen räumlicher Geltungsbereich nicht wirksam definiert ist, hat keine Rechtskraft, Dies gilt auch für das Grundgesetz.